Webseitengestaltung: Leslie Huppert
Kunst am Bau Projekt in der JVA Saarbrücken 2013
Persönliche Anmerkungen zum Projekt „Zukunfts(t)räume: Glaube, Liebe, Hoffnung, I“
Nach meinem letzten Arbeitstag stehe ich auf dem Nettoparkplatz vor meinem Auto und bin verwirrt. So ganz gehöre ich gerade nicht zu den Leuten, die hier ihre Einkäufe fürs Wochenende tätigen. Ich steige ein, fahre in mein Atelier und trinke erst einmal einen Kaffee. Es wird noch etwas dauern, bis ich wieder in meiner Realität ankomme.
Statt von mir noch auf ein Bier eingeladen zu werden, sind die Teilnehmer des Projektes zurück in ihre Zellen gegangen. Alleine in meinem Atelier werde ich wieder an einen Umstand erinnert, den ich im Verlauf der letzten Wochen zeitweise völlig vergessen habe: mein Arbeitsort war ein Gefängnis, JVA Saarbrücken, Sicherheitsstufe I, Hochsicherheitsgefängnis. Meine Teilnehmer: Häftlinge.
Meine erste Begegnung mit dem „Objekt Knast“ war die Führung durch die JVA. Ich fühlte mich eingeschüchtert, von den Mauern, den Schlüsseln, den Gittern, den unzähligen Schlössern und Türen, den Beamten mit Schlüsselgewalt und auch von den Männern in Blau, denen wir begegneten. Springen die mich jetzt gleich an und tun mir was? Natürlich Unsinn, aber ich traute mich gar nicht hoch zu schauen, tat es aber trotzdem, komisch, befremdlich, peinlich fand ich das, auch meine Unsicherheit.
Trotzdem, ich war fest entschlossen dieses Projekt durchzuführen.
Ich fand es hochspannend einen Ort kennenzulernen, der ein Nicht-Ort ist, ein mythischer Ort, alle wissen irgendwo existiert er, man hört, dass Menschen dorthin müssen, die „Bösen“, von denen man im Fernsehen, im Radio in der Zeitung hört, die aber dann im Nebel verschwinden.
Knast gehört zu den Schattenwelten, wie auch die geschlossene Psychiatrie oder der Hades, alles Orte die man als „normaler“ Mensch mit „normalen“ Verwandten, Freunden und Bekannten nicht denkt kennenlernen zu müssen. Fehltritte, eigene Unzulänglichkeiten, das Scheitern, ja auch der eigene Tod werden ausgeblendet, verdrängt. Man möchte damit nichts zu tun haben. In meinem Leben habe ich immer versucht Wege zu beschreiten, die mir Angst machen, mich bis an die Grenze des Erträglichen fordern, denn es sind Wege die auch große Erfahrungen und tiefe, nachhaltige Erkenntnisse und Veränderungen für mich bereit halten.
Ich ging an meinem ersten Arbeitstag ziemlich aufgeregt und unausgeschlafen an die Außenpforte und ließ mich durch die vielen Türen und Tore schleusen, wurde belehrt und von einem sehr netten Beamten empfangen. Teilnehmer waren noch nicht am Ort. Ich hatte meine Haare mit einem Holzstab hochgesteckt und dachte: „Nicht dass mich jemand damit noch von hinten ersticht“. Ich musste über mich selbst lachen, war aber sehr verunsichert. Endlich kam ein Teilnehmer, er sah aus – wie ein normaler Mensch in blauer Arbeitskleidung. Er war sehr höflich, zurückhaltend, neugierig und offen. „Na gut, das wird schon Leslie, aber was sagt man denn nun?“ Wie soll ich denn Kunst machen, die Leute begeistern und mitreißen, wenn ich nichts Persönliches sagen darf, die Distanz wahren soll, kühl und mit viel Abstand mit den Teilnehmern umgehen muss? Ich hatte die Belehrung als ehrenamtliche Justizvollzugshelferin verbal verstanden und zu Beginn nachvollziehen können. Aber ausgerechnet ich? In jede Situation springe ich mit Kopf und Füßen rein, meine ganze Kunst ist zutiefst persönlich, basiert auf Erfahrungen und Erlebnissen, auf der Nähe zu den Dingen und Menschen, nicht auf Distanz und Abstand und vor allem nicht auf Unpersönlichkeit!
Da dieses Anliegen von Anfang an für mich unmöglich war, dachte ich „geh einfach normal mit allen, die du triffst, um“. Zum Glück bin ich sehr gut damit gefahren. Ich erklärte den Umgang mit den Farben, wie ich vorgehen will, bat die Teilnehmer eigene Ideen und Gedanken zu entwickeln und ihre Meinung zu sagen, sich ganz einzubringen.
Ich kann nur sagen, es war eine bereichernde und durchweg positive Erfahrung. Aus anfänglich überhöflichen, etwas unsicheren Menschen, wurde eine hochmotivierte, fröhliche Gruppe. Es kamen noch mehrere Teilnehmer dazu, ein Azubi (Maler & Lackierer) wollte unbedingt einen Beitrag leisten. Er bekam die Erlaubnis im Rahmen seiner Ausbildung eine der MDF-Platten, die als Malgrund dienten, zu bearbeiten. Daraus ergab sich, dass ihm seine Azubi-Kollegen halfen, die Platte so zu gestalten, dass sie wie eine Mauer aussah. Er brachte ein großes Graffiti auf, „Hope“. Ich fotografierte ihn und er wurde in dem Wandfries zur Pandora, die das Element Hoffnung ausschüttet. Die Azubis wollten daraufhin auch alle in dem Werk verewigt werden, was mich sehr freute. Ich bekam weitere Interessierte zugewiesen. Schließlich arbeiteten wir zu siebt. Ich fand es wunderschön, dass nicht nur die teilnehmenden Insassen engagiert und begeistert an dem Projekt arbeiteten, sondern alle die im entferntesten damit zu tun hatten sich damit identifizierten.
Es gab mir das Gefühl etwas wirklich Nützliches zu tun und sehr viel Positives zu bewirken und zu erhalten. Die anfängliche Scheu verschwand vollkommen, ich merkte nicht mehr wo ich arbeitete, die Teilnehmer vergaßen die Umgebung ebenso. Nur beim „Rücken“, dem Arbeitsende, bei dem die Häftlinge von ihren Arbeitsstellen über die Höfe zu ihren Zellen gehen, wurde mir bewusst dass ich nicht mit meinem Kurs noch ein Bier trinken gehen kann, wie das sonst manchmal der Fall ist. Außenstehende dürfen während dieses „Rückens“ nicht über den Hof gehen. Die Beamten stehen an den Türen und wachen über den Ablauf. Ich war verwirrt, extrem verwirrt. Es erinnerte mich irgendwie daran wie man Stiere von einem Ort zu dem anderen bewegt – aber da sind doch die Leute dabei, mit denen ich gearbeitet hatte...
Ich verstehe die Situation, die Notwendigkeiten verstandesgemäß, aber nicht emotional. All die Uniformierung lässt es mir so schwerfallen die Menschen zu sehen, die einen sind grün, die anderen blau. Es dauert eine Weile bis ich die Uniformen vergessen kann, einige Beamte kenne, mich unterhalte, entspannen kann. Zunehmend werde ich von Gefangenen gegrüßt, ich grüße lachend zurück und freue mich.
Ich merke, dass ein Gefängnis ein Ort ist an dem Menschen leben, der Umgang zwischen den Beamten und den Gefangenen ist nicht ruppig, sondern ziemlich höflich und respektvoll. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Ich fand es bewundernswert mit welchem Engagement viele Beamte und im Besonderen die Leiter der Werkstätten und Ausbildungsstätten ihre Arbeit verrichten was bestimmt nicht immer einfach ist.
Ich denke es gibt viel Traurigkeit, viel Sehnsucht, Abgründe und Hoffnungslosigkeit an diesem Ort, dadurch viel Widerstand und Desinteresse. Ich bin sehr froh Menschen gefunden zu haben, die noch und wieder Freude und Stolz empfinden konnten, mit denen ich gemeinsam Spaß an dem Projekt, Spaß am Leben generieren konnte und wo ich neben einem wirklich gelungenen Endergebnis eine lange Zeit der intensiven Gespräche und des Lachens in Erinnerung behalten kann.
Vielen Dank an alle Menschen, die mich so nett aufgenommen, mich unterstützt und intensiv mit mir gearbeitet haben. Ich werde diese Erlebnisse und Begegnungen niemals vergessen.